Montag, 20. April 2015

Japanisches Preis-Leistungs-Verhältnis oder wie ich versuchte, eine schöne Tasche zu kaufen

Nun ist es schon Mai und wir haben Sommer- Sonne - Sonnenschein. Da kann man sich nur verwundert die Äuglein reiben und sich fragen, ob die Verkaltung schon zu schlimm ist, oder ob man tatsächlich keine zwei Wochen vorher noch mit Annorak aus dem Haus geschlichen war. Nach der kurzen Sakura-Blüte wurde nämlich der Rest der Pracht von einer Mischung aus Dauerregen und Wintertemperaturen nidergemäht und wir zitterten uns wärmeren Temperaturen entgegen. 

Ich hatte v.a. ein Problem - eine Stofftasche. Die macht sich bei Dauerbewässerung denkbar schlecht, denn die Bücher sollten ja keine Wurzeln schlagen. Es musste also eine Tasche her. Aber nicht irgendeine - eine Schöne! Das konnte doch nicht so schwer sein, schließlich kann man in Tokyo alles kaufen, richtig? Jaein. Sagen wir so: Hätte ich im Lotto gewonnen, wären da schon ein paar schöne Taschen gewesen. Im Isetan, Shibuyas Luxuskaufhaus, gibt es z.B. eine Taschenabteilung, da fangen die Preise bei ca. 500 Euro an. Für echtes Leder schaut man dann in der 1000 Euro+ Abteilung. O_ö  Und schon war ich wieder draußen.

Mein Erkenntnisgewinn in dieser speziellen Kategorie kultureller Unterschiede lässt sich im Prinzip wie folgt zusammenfassen:
  • Japanerinnen brauchen keine wasserdichten Taschen. Praktizität wird vollkommen überbewertet. Japanerinnen werden auch nicht beregnet. (Außer im Film, wo Superman hilfbereit mit Schirm angerannt kommt. Da weiß er bloß nicht, dass Damsel ihren klitzekleinen Faltschirm vorher schnell im sauteuren Handtäschchen versteckt hat.)
  • In Japan haben Marken das Sagen: Luis Viton, MCM, Chanel, le Sportsac etc. pp. haben alle japanischen Herzen und Geldbörsen fest in ihrem Griff.  Im Second-Hand-Laden kosten die immer noch 500 Euro aufwärts. Und die sind hässlich! Die Farbauswahl bewegt sich zwischen schwarz, beige und kackbraun, sowie der Modefarbe der Saison - aggressives Organge oder Pink-Orange - ist also entweder total langweilig oder ein Fall für Augenkrebs. 
  • Fast alles, was in der sog. mittleren Preisklasse zu finden ist, ist ein billiger Abklatsch oben genannter Modelle. Es gibt also ca. drei Taschenmodelle dieses Jahr, und alles andere g.i.b.t. e.s. n.i.c.h.t. Aber das stört auch wenig, denn wenn Japaner etwas hassen, dann ist es Mittelmaß. Es war praktisch unmöglich etwas in der ca. 100-150 Euro Kategorie zu finden. Und das, was es gab, bestand unweigerlich aus PVC (Falschleder) oder noch schlimmer, diesem frisierten Plastematerial, das aus irgendwelchen Gründen beliebt zu sein scheint. 
  • Das Billigsegement besteht ebenfalls auch den bekannten Taschenklonen und stinkt dazu fürchterlich nach PVC. Dafür kosten diese Taschen auch nur 25 Euro.
  • Es gibt dann noch diese mehr oder minder hässlichen schwarzen Arbeitswelt-Taschen. Mit denen läuft der Rest herum.    
  • Alles, was meines Erachtens als schön hätte bezeichnet werden können, bestand aus immerhin gut gefälschtem Leder, war nicht beige, schwarz oder orange und außerdem made in Italy. Italienerinnen aber brauchen wohl nur Handtaschen, denn keine hatte die erforderliche Größe. 
  • Echtleder kommt hier fast nur in Form von glattem Kuhleder oder Krokodil vor und hat Preise, die mein Gedächtnis sofort gelöscht hat.
Das Ende meiner Kaufhaus-Odyssee war also, dass ich keine Taschenläden mehr sehen kann, dass ich nie wieder den Geruch von billigem PVC ertragen müssen will, und ein kläglicher Skype-Hilferuf an Mutti: Schick mir eine Tascheeee! Der wurde zum Glück erhört.

Es ist schon komisch in diesem Land - es gibt tausende Läden. Und alle haben sie etwas anderes. Es sind ja tatsächlich Millionen-Taschen-weise nicht dieselben Taschen. (Auch nicht diegleichen.) Aber trotzdem sind sie alle irgendwie so schreklich gleich in der Farbgebung, Machart oder dem Material gewesen, dass es doch etwas erschreckend war. Ein fokussierter Blick auf die Taschen, die ausgeführt werden, bestätigt auch das Bild: Billig und teuer sind im Straßenbild (für mich) kaum zu unterscheiden, weil die meisten Taschen a) in der Machart gleich sind und b) auch dieses teuere Plastezeug am Ende hässliche Stellen hat, wo der Lack abgeht. Die Modefarbe sieht man überall, was die orangefarbenen Taschen zu den Schaut-her-ich-hatte-dieses-Jahr-Geld-für-dieses-Stück Aushängeschild werden lässt, das aufgrund des Stückzahlentechnisch gesehen hohen Aufkommens an ähnlichen Taschen aber alle Besonderheit verliert. Gar nicht zu reden von den Viton-Taschen mit ihrem hässlichen Rautenmuster, dass schon zur Massenware verkommen ist. Und dafür so viel Geld bezahlen?   

Auch das vollkommene Fehlen von dem, was ich ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis im Mittelklassesektor nennen würde, kam zwar nicht überraschend, hat mich in dem Ausmaß aber doch verblüfft. D.h., dass keine Taschen von guter Qualität für mittelmäßig viel Geld zu haben sind, lässt sich ja noch verstehen, aber dass es so viel qualitätsmäßigen Schrott gibt, der trotzdem teuer verkauft wird und einfach jegliches Verhältnis sprengt, ist schon verblüffend. Und dass man für unkonventionelle Accessoires schief angesehen wird, stört ja nicht, was stört, ist die Tatsache, dass man diese nicht einmal kaufen kann. (Versteht mich nicht falsch - es gibt schon viel Schnickschnack. Nur, dass man hier in Deutschland interessant aussieht, kann in Japan halt sofort als zugehörig zu jener Szene oder jener Subkultur erkannt werden.) 

Da gab es dann als Alternative nur die hiesige Ausprägung des Hippietums, das, so hört man, in Shimo-kitazawa beheimatet sein soll. Hippie-Taschen eignen sich aber eben doch eher zum Bücherpflanzen-Züchten. Trotzdem war in dem Stadtteil, das mit kleinen Cafés und Geschäften überseht ist, erfrischende Keime individuellen Schöpfertums.
 
Ein Geschäft, in dem man Verkaufsboxen mieten kann und Leute ihre selbstgeschöpften Kreationen verkaufen - meist Schmuck und Kleinkram.

Aber meine schöne geliehene Tasche erschien wie ein Licht am Horizont - sprich genau zu der Zeit, als sich der Regen entdlich wieder verzogen hatte und plötzlich Sommer über uns hereinbrach. Nicht nur wir wussten kaum, wie uns geschah, auch die Blümchen waren sichtbar verwirrt. Plötzlich grünte und blühte es und man wusste teilweise nicht, ob sie noch nicht dran waren oder doch schon verblüht.
Die nächsten Einträge sind daher den Azaleesen und Gylzinien gewidmet und nein, diesmal müsst ihr keine Woche darauf warten, denn ich sollte die April-Erzählungen langsam beenden.

Noch etwas interessantes zum japanischen Straßenbild: Hierzulande wird man bei politischen Wahlen zwar an jeder Ecke von irgendeinem Poltiker per Megaphon zugebrüllt, dass Straßenbild dürfen sie mit ihren Gesichtern aber nicht verschandeln. Statt der vielen Politiker-Plakete gibt es in Japan nur spezielle aufgestellte Wände, an die jeder sein Konterfei anpappen kann. 

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