Dienstag, 29. September 2015

Sugamo - wo die Alten walten

Im September habe ich es zum ersten Mal nach Sugamo geschafft. Sugamo stand nicht sehr hoch auf der Prioritätenliste, denn zu tun gibt es da nämlich eigentlich nicht viel. Dieser hippe Stadtteil zieht mit seinem inoffiziellen Slogan  auch sonst nicht unbedingt die Shopping-Queens aus Harajuku oder Shibuya an - "das Harajuku der Alten" oder "Großmütterchens Harajuku" ist aber auch ein ausgesucht liebevoller Titel.  
Die Jizo-Doori (Straße des Jizo) ist die Lebensader des Stadtteils.

Dieser Stadtteil hat sogar sein eigenes Maskottchen - Sugamon, eine weiße Ente mit gelben Schnabel. Man kann sie rechts auf der Fahne sehen. Viel besser ist aber natürlich dieses wunderbare Ausstellungstück am Anfang der Straße, liebevoll betitelt mit "Sugamons Hinterteil". Einmal auf die Bedienungsanleitung gelinst - aha - Wer das Hinterchen berührt, dem winkt das Liebesglück, und wer dies auch noch liebevoll tut, der muss dafür nichts weiter tun? Na dann!? 

Allgemein beglückt kann man dann die Straße entlang flanieren, wo sich in ca. 200 Geschäfte alles befindet, was das altertümliche Herz begehrt - leider habe ich nicht viele Fotos gemacht, wer also einen besseren Eindruck gewinnen will, der möge af den *Entenhintern* klicken. Die Anzahl an "Ramschläden", in denen ein halber Flohmarkt auf ein erlesenes Sortiment aus Besen, Glaswaren und Tischdeken trifft, war jedenfalls enorm. Die Alten gehörten fast zum Inventar und liesen sich durch Kundschaft kaum in ihrem Kaffee-Klatsch stören - Touristen, die nur gucken und icht kaufen ist man hier gewohnt. Urischerweise ist Sugamo auch (fast) keine Touristen-Traditionswaren-Straße, wer japanische Handarbeit und Mitbringsel sucht, wird kaum fündig. Dafür kann man sich prima mit Pfannen, Decken, Häkelnadeln und Reißverschlüssen eindecken. :)       

Berühmt ist das Geschäft "Rote Unterhose", in dem es alle in rot gibt. Weil das Aushängeschild Sugamos wohl ursprünglich rote Unterbekleidung war. Wissen wir jetzt also auch das. :)

Der Rest des Monats verbrachte ich außer im Büro mit diesem Ausblick: 
 
 Ich glaube, ich kenne jetzt alle Cafes mit Terasse in Tokyo - alle 5 oder so. -.- Naja, es gibt schon etliche, wobei die meisten jedoch auf Straßen, Gleise, Zäune oder ähniche erfreuliche Szenerien rausblicken und oft von Rauchern besetzt sind, die im Lokal nicht rauchen dürfen. (Außer in den Cafés, die nach 18.00 Uhr von Nicht-Raucher auf Raucher umstellen - geniales System.) Einige haben aber Terassen versteckt auf den Kaufhausdächern etc., auch wenn das dann üblicherweise teuereres Pflaster ist. 
Das Terassen-Phänomen ist mir nach wie vor ein Rätsel. Solange es schön ist, findet man kaum einen Japaner, der sich freiwillig auch nur in den Schatten raus setzt, aber sobald die Tempretauren den gefühlten Terassenschluss verkünden, sitzen die Leute mit Vorliebe in der Kälte.


Beendet wurde der September mit einem Konzert. :)
Und Marx lässt aus Japan grüßen! 

Donnerstag, 10. September 2015

September: Konferenzen und Feste im Regen, platsch, platsch, platsch

Kaum war ich im September wieder in Tokyo, Asagaya angekommen, war alles sprichwörtlich grau - der Himmel, die Wolken, mein Zimmerchen und mein Gemüt. Mittsommerliche Familienbesuche inklusive Johannis- und Brombeerenschlemmerei machten die Rückkehr in das Taifun geplagte Land nicht direkt einfach. Zumal es einfach nur drei Wochen lang durch schüttete. Wasser hatte ich ja haben wollen, aber doch von unten! In Form von Sommer, Sonne, Strand! Aber dieses Jahr war nichts zu machen: die Temperaturen pendelten sich um 20-25° C ein und die Sonne ließ sich gerademal zur Mittagshitze überreden. 

Mich holte der Alltag aber auch sofort wieder ein. Bereits Anfang September fand die Religionskonferenz der Japanischen Gesellschaft für Religion statt und schnurstracks bin ich nach Hachioji gezuckelt, das in "Tokyo" liegt, aber immer noch 40 Minuten von mir entfernt, obwohl ich bereits an der Strecke wohne. Eingeladen hatte passenderweise (?) die Soka gakkai Universität - Gegründet von der Soka gakkai, einer Neuen Religion, die in ihrer Anfangszeit recht militante und religiöspolitisch engagiert war und bestrebt ist, die die „wahre Religion Nichirens“ wieder zu beleben. Ursprünglich hatte sie sich aus dem Nichiren-Buddhismus entwickelt. Heute zählt sie wohl zwischen ca. 5 Mio. (Ministeriums-Schätzungen) und 8 Mio. Anhänger (Eigendarstellung). 
 
Die Soka Gakkai ist eine der Neuen Religionen, die gerade in Japan durch die verwischenden Grenzen zwischen Religion und Politik recht aktiv auf allen Feldern ist. Z.B. wurde 1975 die Sōka Gakkai International (SGI) ggründet, die sich bezeichnet als Gesellschaft für Frieden, Kultur und Erziehung. Außerdem ist sie als Nichtregierungsorganisation den Vereinten Nationen angegliedert und hat beratenden Status im UN Economic and Social Council sowie der UNESCO. 

Ein ehemaliger Sōka-Gakkai-Präsident, Daisaku Ikeda, hat 1983 den Friedenspreis der Vereinten Nationen erhalten, da er seit 1983 jährlich den Vereinten Nationen UNO einen Friedensvorschlag zur internationalen Friedensförderung unterbreitet, der sowohl konkrete Maßnahmen als auch spirituelle Aspekte aus buddhistischer Sicht erläutert. Als Aspekt zur Friedensforschung wurde also auch die Soka gakkai Universität gegründet. 

Auch die Konferenz selbst war ziemlich interessant und lies v.a. erkennen, in welche Richtung sich die Religionswissenchaft in Japan gerade bewegt. V.a. die Frage nach sozialem Engagement der Religionen, v.a. im Bezug auf religionsneutrale Seelsorge (aufgrund fehlenden staatlichen Angebots zunehmen im Blickpunkt, v.a. durch das Erdbeben 2011) oder auch politische Positionierung von Religionen nach dem Fukushima-Desaster standen auf dem Programm.

Ein weiteres Symposium fand an der Toyo-Universität statt, wo dieses schöne Foto entstanden ist. 

Ansonsten mussten weitere Matsuri über die Bühne gebracht werden, so schien es. Ich war z.B. in Kagurazaka spazieren, wo sehr viele Franzosen wohnen, was sich auch in einer Fülle von Weinbars und Konditoreien widerspiegelte. Interessant war dieser moderne Schrein,  der eine Mischung aus Holz und Glas zu sein schien und das Alte und Neue recht gut verband. (Leider konnte ich kein Bild vom ganzen Schrein machen, wegen der an diesem Tag durchblickenden Sonne).

 Links unten sieht man, dass im Schrein gerade Papierbeutel geweiht werden - was auch immer da drin ist. Außerdem standen sehr viele Sake-Flasche herum.

 Aus Platzmangel(?) mussten die Weih-Zeremonien im anliegenden Cafe stattfinden, so wie es aussah. Dieser provisorische Schrein davor sollte das wohl möglich machen.


 Auch in Shinjuku waren die Mikoshi-Träger aktiv - hier sieht man den tragbaren Schrein (etwas schlecht in der Mitte) in seinem Stand, bevor er durch die Straßen getragen wird.


Die Organisation eines Nachbarschaftsfests in den zentralen Bezirken muss ein Albtraum sein - hier sieht man das Fest vor dem Bahnhof in Ikebukuro. Ikebukuro lieg nördlich von Shinjuku und überhaupt im Norden der zentralen Ringlinie und ist der wichtigste Knotenpunkt in die angrenzende Präfektur Saitama - mit ca. 2,7 Millionen Passagieren täglich muss sich kaum hinter Shinjuku und Shibuya verstecken. Entsprechend wichtig sind die Ausfallstraßen von dort - die an diesem Tag gründlich abgesperrt waren. 

Es wurden unzählige Schreine an diesem Abend umhergetragen, wenn ich das richtig gesehen habe- Ich habe ja nur ein Izakaya (Bar) gesucht, wo ich mich Hallenser Freunden verabredet war - das Durchkommen gestaltete sich... interessant. So ein Mikoshi (Schrein) wiegt ja so seine Tonne und der Trick am Tragen ist, dass der Schrein auf den Tragebalken auf und ab gefedert werden soll, damit die Götter zufrieden sind. Aber plötzlich kippte einer der Schreine komplett zu Seite! Keine Sorge, es gab keine Toten. Anscheinend war das die Krönung der Verehrung, die ich zum ersten Mal erlebt habe. Von ganz nach links gekippt ganz nach rechts gekippt und wieder gerade - wie die Täger den Schrein in Schräglage überhaupt noch halten konnten, ist mir schleierhaft. Zum Glück lohnte sich das Spektakel, denn man kann nicht behaupten, es hätte an Publikum gemangelt.