Sonntag, 14. April 2013

Stundenplan und was es mit Traditionen so auf sich hat

Die letzte Woche war damit ausgelastet, einen geeigneten Stundenplan zu basteln und kunstfertig in das dafür vorgesehene System einzugeben, damit die Keio ihn dann auch genehmigen kann. Immerhin eine Neuerung in all den Jahren: Inzwischen müssen die herzzerreißenden Schreie der für die Keio jährlich gerodeten Quadratkilometer Regenwald auch in Japan gehört worden sein, denn immerhin die Zettel für die Kursregistrierung und die Vorlesungsverzeichnisse gibt es jetzt teilweise elektronisch. Das bedeutet allerdings auch den vierfachen Aufwand, denn schließlich kann nur dies und das, nicht aber dies oder jenes... und überhaupt. Ja, ja. Ich nehme einfach mal an, dass mein Stundenplan jetzt so stimmt. Wenn nicht, werden sie es mir mitteilen - immerhin per E-Mail.

Ich werde also insgesamt 6 Stunden jeweils dreimal die Woche von 9 Uhr bis 12:15 Uhr Japanisch Grundkurs in Level 12C haben. Das bedeutet, dass ich Montags brav zum Romanlesen antrete, wobei in ca. 15 Unterrichtseinheiten acht Romane und zwei Kurzgeschichten geplant sind. Ich bin gespannt, ob ich mein Lesetempo in diesem Sinne steigern kann. Die erste Sternstunde kam jedenfalls schon: In zwei Wochen habe ich den ersten Roman geschafft! :) D.h., ich muss mein Tempo lediglich verdoppeln.. 

Die nächste Stunde ist Donnerstag. Schon eher in ganz japanischer Unimanier wird dort nur ein Buch gelesen, und das wahrscheinlich nie bis zu Ende. Dafür ist Prof. Kimura viel zu sehr damit beschäftigt, uns die Geschichte sämtlicher interessanter Kanji zu erzählen, die er im Buch entdecken kann. Dummerweise ist es gerade das Buch, das mich am meisten interessiert. Es geht nämlich um alte Sitten und Bräuche in Japan, die mit der Meiji-Zeit verschwunden sind. Leider werden wir wohl nie zu den Abschnitten mit den alten Gesetzestexten vordringen, denn wir schaffen pro Unterrichtseinheit sagenhafte 3,5 Seiten. :(

Die letzte Stunde am Freitag ist wiederum so typischer japanischer Japanischunterricht - ich könnte schreien. Wir werden ein Semester lang jeweils eine 30 minütige Dokumentation ansehen, die uns danach per Kassettenrekorder wieder vorgedudelt wird und wir dürfen brav nuschelnde Interviewpartner transkribieren. Spannung pur. Immerhin, bei der letzten Dokumentation gab's Mozart zu hören. 

Dazu kommt lediglich noch ein Kurs zum Thema "Wie bringe ich jemandem Japanisch bei" und ein Kurs zu Religionen in Japan, aber auf Englisch. Da wir im Rahmen dieses Kurses auch Exkursionen machen, kann ich euch danach vielleicht noch ein paar schlaue Sachen zu Schreinen und Tempeln erzählen, die bisher ein Rätsel geblieben sind, weil die Japaner selber ja auch nie Ahnung haben.

Die Zeit dazwischen wird dann brav mit Forschung aufgefüllt und schon weiß ich in etwa, was ich dieses Semester so zu tun habe. 

Und damit dieser Blogeintrag nicht ganz ohne Bilder und Kultur bleibt:  Am 7. April, also dem ersten Sonntag im Monat, war ich beim Kamanara Matsuri. Übersetzt: „Festival des stählernen Phallus“. Ja, auch so was sollte man gesehen haben. Das Kamanara Matsuri in Kawasaki ist so ein typisches neuzeitliches Phänomen, wie wir es im Donnerstagsunterricht durchsprechen: Eigentlich hat das Fest eine sehr lange Tradition, die wohl auf das 17. Jahrhundert zurückgeht. Prostituierte kamen in der Edo-Periode zu einem Schrein in Kawasaki, um für gute Geschäfte und den Schutz vor Krankheiten zu beten. Daraus entstand ein gewisser Ruf um den Schrein und am Ende kam das Fest hinzu, wobei es sich im Endeffekt natürlich um ein Fruchtbarkeitsfest handelt. Um 12 Uhr mittags startet die Parade, bei der drei Penisse durch die Stadt getragen werden, genauso wie bei anderen Festen die jeweiligen Schreingötter in Sänften zur Parade. Im Fall des Kamanara-Maturi handelt es sich wohl aber eben nicht um Götter, sondern einfach um genau das, was auch abgebildet wird: wunderbar rosa, so macht das auch was her. 

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Nun wird das ganze natürlich auch als uralte Tradition verkauft und v.a. ausländische Medien sind schnell dabei, das Spektakel als "typisch japanisch" darzustellen und werden nicht müde zu behaupten, das das für Japaner "ganz normal" wäre. Schließlich habe man auch Kinder in den Straßen herumhüpfen sehen. Zur Richtigstellung muss aber schon erwähnt werden, dass das Verhältnis von schaulustigen Ausländern zu Japanern das in Asakusa noch weit übertraf und wahrscheinlich bei 7/3 lag. Außerdem waren die Japaner selbst zum Großteil auch eher nur dabei statt mittendrin, sprich: Genauso Touris wie wir. Das ganze Fest in eine eher kleine Veranstaltung, die als lokale Besonderheit zählt und wurde auch erst unlängst wiederbelebt. Jahrelang war das Fest seit den Sittenregulierungen der Meiji-Zeit (1868-1911) nämlich verboten gewesen und wurde erst jetzt - mit dem Touri als zahlendem einschlägig geformten Eis- und Lutscherkäufer fest im Blick - wieder entdeckt.

Natürlich war eine Anzahl an Kuriositäten dabei, die nicht fehlen durfte - wir sind schließlich in Japan!
 
Ich habe die Vermutung, das Fest wurde unlängst von Transvestiten und Homosexuellen entdeckt, denn es waren jedenfalls etliche einschlägig gekleidete Herrschaften unterwegs.

Jasmin (Ösi) und ich sind dann weiter zum Kawasaki-Daishi, einem alten Schrein, der wohl im 12. Jh. gegründet wurde und Kawasakis Hauptattraktion ist.
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Ich bin Silvester 2008/2009 zwar schon einmal dagewesen, doch damals konnte man den Schrein-Komplex vor lauter Leuten nicht sehen. Der Kawasaki-Daishi ist nämlich einer DER Schreine, die man zu Neujahr aufsucht. Und wisst ihr auch, warum? Richtig: Weil der Schrein am Kawasaki-Daishi-Bahnhof liegt, der von Japans ältester Bahncompany der Region Tokyo, der Keihin Electric Express Railway, betrieben wurde. Die führte zusammen mit anderen eine Werbekampagne, die die Leute anregen sollte, mit der Bahn zu fahren und die schlauen Werbemacher kamen auf die Idee, dass man doch den uralten Brauch des Neujahrsbesuchs am Schrein wieder groß propagieren könnte. Der Brauch war indes vollkommen aus der Mode geraten, obwohl er wohl tatsächlich existiert haben soll. Anno 1899 konnten jedenfalls zum ersten Mal bequem Passagiere zum Neujahrsfest in Scharen zum Kawasaki-Daishi kutschiert werden. Ist doch schön, wenn "uralte" Traditionen ganz "natürlich" wieder aufleben. 

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Die lustigen Eisenstangen gehören zu den Verkaufsständen, die die Planen lieber gleich weggelassen hatten, bevor noch einer abhebt. An dem Tag war es mächtig windig.

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Als Variation zum üblichen eigenen Händewaschen (dazu gab es natürlich auch ein Becken), soll man am Kawasaki-Daishi lieber eine kleine (sehr buddhistisch aussehende) Figur begießen, was auch alle brav gemacht haben. Den Grund wusste wie immer keiner.

und zum Schluss: Blümschen! (Irgendein Busch)

2 Kommentare:

Sam Murakami hat gesagt…

Hey Franzi, ich hab zufaellig deinen Blog gefunden :) Viel Erfolg mit deinem Stundenplan! Das war bei mir damals an meiner Uni in Japan etwas einfacher, aber ich kann gut verstehen, was du mit typisch japanischem Unterricht meinst...

Ich haette da eine kleine Frage an dich, du machst doch den Doppel-Master in Halle wenn ich das richtig gelesen habe..? Ich wurde dieses Jahr eingeladen zu Auswahlgespraechen und wuerde mich himmelschreiend freuen, wenn du mir kurz erzaehlen koenntest, wie das so ablaeuft. Seitdem ich die positive Rueckmeldung bekommen habe kann ich vor lauter Aufregung nicht schlafen! :D Ich hoffe ich ueberfalle dich damit jetzt nicht so ploetzlich.

Viel Erfolg mit der Steigerung deines Lesetempos! :D Liebe Grüße,

Sam

Sam Murakami hat gesagt…

*hast gemacht :)